Krebs ist ein Arschloch und alles drumherum auch!!!

Es fiel mir sehr schwer darüber zu schreiben und ich wusste bis Dato nicht, ob dieser Blogpost jemals veröffentlicht wird. Da es sich um eine sehr private Geschichte handelt.
Immerhin tat es gut, meine Gefühle rauszulassen und das runter zu schreiben was ich in manchen Momenten gefühlt habe.

Am 23.06.2016, genau vor einem Jahr ist meine Mutter an Krebs gestorben.

Krebs ist schlimm! Sowohl für den betroffenen, als auch für die Angehörigen.
Man kann es nicht mit einem Schnupfen oder einen aufgeschlagenen Knie vergleichen.
Wenn man in den Nachrichten hört und liest, wer alles an Krebs erkrankt oder sogar daran gestorben ist, dann klingt so weit weg. Ebenso auch, wenn man im Pflegedienst beruflich  tagtäglich damit konfrontiert wird. Dann sagt man sich, dass gehört zur dieser Arbeit dazu.
Aber wenn es in der eigenen Familie vorkommt, dann ist es was ganz anderes. Diese schlimmen Momente wünscht man keinem!!!

Es begann vor vier Jahren, im März 2013.
Meine Mutter wollte sich nur beim Arzt eine Art eingewachsene Eiterpocke am Rücken entfernen lassen. Es hat ihr gestört beim liegen, anlehnen an einem Stuhl und es hat auch etwas weh getan. Dieser wurde in die Pathologie eingeschickt. Reine Routine hieß es, um schlimmeres auszuschließen. Aber da kam nach einen Tag schon die erste Hiobsbotschaft: es handelte sich um eine Metastase!
Woher es stammt, wo der Krebs genau liegt, dass konnte der behandelnde Arzt meiner Mutter im ersten Moment nicht sagen. Zeitgleich klagte sie über starke Unterleibsschmerzen, sie dachte da auch an nichts schlimmes. Sowas kann auch in den Wechseljahren vorkommen. Aber die Schmerzen wurden von mal zu mal unerträglicher, dass sie doch den Weg zum Frauenarzt suchte. Einmal dachte sie, es wäre der Blinddarm. Also lies sie sich sofort untersuchen.
Dort wurde ein Sarkom in der Gebärmutter festgestellt.
Sarkome sind eine der schlimmsten und bösartigen Tumore.
Meine Mutter musste diverse Voruntersuchungen machen,  ob und überhaupt der Krebs gestreut hatte und wie das Stadium zur Zeit ist. Das MRT zeigte weitere Metastasen am Röntgenbild in der Lunge und der Tumor hatte bereits eine Größe von fast einer Faust gehabt.
Mein Vater rief mich an, um mich darüber zu informieren. Ich konnte es nicht glauben. Krebs, meine Mutter? Das kann nicht sein! Ich fuhr sofort zu meinen Eltern, schließlich wollte ich sie in diesen Moment nicht alleine lassen.
Wir dachten das wäre nur ein Alptraum und wünschten uns das dieser mit ein Wecker-Klingeln beenden würde. Aber Fehlanzeige.

Somit begann die Nervenhöhle!!!
Google war mehr unser Feind als Freund gewesen. Wenn man darüber sich informieren wollte, wie hoch die Heilungschance ist, wurde man nur enttäuscht. Man hat nur gelesen, wann ungefähr das letzte Stündlein schlagen würde. Ein paar Wochen, höchstens 6 Monate. Je mehr man darüber gegoogelt hatte, desdo schlimmere Details kamen raus. Nichts was aufmuntern könnte, kein Lichtblick!
Operation geht nur dann, wenn der Tumor nicht gestreut hat und nur eine gewisse Größe besitzt.
Es gibt Krebs-Foren für Betroffene und Angehörige, in dem man sich anmelden kann. Man erhielt überwiegend tröstende und aufmunternde Worte und man drückt sich gegenseitig die Daumen, dass alles gut verläuft. Aber auch da konnte keiner so wirklich was dazu sagen, wie und ob man meiner Mutter helfen könnte. Nur das sie sich umgehend behandeln lassen sollte.
Es gab zwar einige Mitglieder, Angehörige die eine ähnliche Erkrankungen hatten, wie meine Mutter auch sie hatte. Aber jede Therapie und jeder Krebs ist bei jeden verschieden. Klar, gab es auch welche die geheilt wurden, aber ob meine Mutter auch die Chance bekommt, dass lag in den Sternen und es war meilenweit entfernt.

Meine Mutter war mit den Nerven am Ende, wir - mein Mann, mein Vater und ich waren mit den Nerven ganz unten gewesen. Irgendwie kam da kein Licht mehr in unseren Tunnel.
Diese ständige Angst und die Frage: Wie geht es weiter? Wie und was kann meiner Mutter helfen? Ist das schon das Ende, so wie Google das immer angibt?
Bis vorm kurzen war alles ok gewesen. Meine Eltern führten eine harmonische Ehe. Waren stolze Großeltern gewesen. Wir wollten diese Krankheit nicht im Leben meiner Mutter zulassen.

Meiner Tochter habe ich auch von der Krankheit meiner Mutter erzählt. Erst wollte ich es nicht, weil sie gerade mal 10 Jahre alt war und ich nicht wusste, wie sie das aufnehmen würde. Natürlich war sie darüber traurig und erschrocken, wie ernst die Lage über ihre Oma war. Aber sie konnte sich viel mit spielen ablenken und das ganze drumherum vergessen.

Unser Hausarzt und ein Freund unserer Familie schlug meiner Mutter die Uni-Klinik in Essen vor.
Per Email und SMS hielten mein Vater und unser Hausarzt privaten Kontakt.
Die Uni-Klinik in Essen ist eine spezielle Klinik für Tumoren, welche auch Europaweit erfolg hat und zusammen mit der amerikanischen Studie arbeitet.
Ein Versuch ist es wert, sich mit der Krankheit vorzustellen. Wir dachten alle, dass war´s wohl. Aber die Ärztin in der Uni-Klinik die meine Mama behandelt hatte, sah das ganze nicht als Aussichtslos. Die Krankheit ist sehr schlimm, was meine Mutter hatte. Aber mit den richtigen Medikamente und Therapien könnte sie alt werden und viele schöne Jahre erleben.

Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer in dem man einigermaßen wieder durchatmen durfte.

Dennoch war es ein sehr steiniger Weg. Chemo-Therapie und Medikamente aus der Studie bekam meine Mutter verordnet. Eine Operation war ausgeschlossen gewesen. Vll. irgendwann, wenn der Tumor klein genug von der Chemo geworden ist. Aber es war ein Tumor der ständig streute. Es wäre zu schwierig gewesen diesen ruhig zu stellen.

Chemo geht an die Psyche!!!
Es zerrt sehr und es ist eine nervliche Belastungsprobe für den Patienten, als auch für die Angehörigen. Gerne hätten mein Vater und ich gewünscht, dass wir evt. auch seelische Hilfe von der Klinik bekommen hätten. Oder zumindest eine Adresse zu einem Psychologen oder eine Selbsthilfegruppe, an die wir hätten uns wenden können. Aber mein Vater zog es doch lieber vor meine Mutter zu unterstützen, für sie da zu sein und sich die Zeit zu nehmen die noch bleibt.
Dazu hatten wir Angst gehabt, dass uns es noch mehr runterziehen würde, wenn man die ganzen  Geschichten von anderen anhören müsste. Deshalb haben wir uns das nicht getraut. Aber vielleicht hätte doch uns gut getan, wer weiß?
Die Zeit mit der Chemo die meine Mutter bekommen hat ,war nicht einfach.
Zum Glück blieb ihr die Übelkeit mit diversen Medikamenten erspart. Aber dafür fielen die Haare aus, Wimpern und Augenbrauen ebenfalls. Für eine Frau ist das wie ein Schlag ins Gesicht, wenn man von diesen Hammerkeulen so zu gerichtet wird. Dies spiegelte auch in ihren Charakter wieder. Sie war gereizter als sonst. Sie trug zwar eine Perücke, die auch wirklich ihrer echten Frisur und Haarfarbe gleichte. Aber es waren nicht ihre Haare gewesen. Im Sommer war es für sie furchtbar gwesen, mit dem "Fiffi" wie sie es immer nannte unangenehm auf dem Kopf. Sie schwitzte sehr schnell darunter. Da trug sie lieber diese leichten Beanies. Es kam wirklich eins zum anderen.
Wenn meine Mutter Chemo bekam, dann war sie direkt für die nächsten Tagen außer gefecht gesetzt gewesen. Sie schlief den halben Tag, hatte kaum hunger und wenn sie was gegessen hatte, dann hatte sie einen Blech artigen Beigeschmack gehabt. Alle drei Wochen für ins gesamt 6 Monate bekam sie die Chemo. Eine Woche bevor sie die nächste Sitzung hatte, ging es ihr richtig gut. Sie konnte gut essen und hätte von der Kraft her Bäume ausreißen können. Viel schlimmer fand sie, dass sie Zuhause sich isoliert gefühlt hatte. Einkaufen, arbeiten und Events besuchen war nicht drin. Da die Ansteckungsgefahr für sie zu hoch war. Auch wenn wir mal etwas erkältet waren, durften wir nicht zu meiner Mutter gehen.
Diese Art von Isolation und dieses ausgeknockt sein, machte sich auch in der Psyche meiner Mutter bemerkbar. Sie war launisch, kratzbürstig und wurde von mal zu mal vom Tonverhalten her immer egoistischer.
Ich bin schwer krank, ich bin tot krank!- mussten wir uns immer wieder anhören, was nach Vorwürfen klang. Als ehemalige Krankenpflegerhelferin wusste ich, dass man es nicht all zu sehr persönlich nehmen soll. Schließlich ist sie wirklich krank und sie leidet sehr darunter. Aber wenn man das als Tochter so angefahren wird, dann spielt man echt mit den Gedanken zu gehen und den Patienten mit dem Scheiß alleine zulassen.

Als meine Mutter die Chemo-Therapie komplett durch hatte, zeigte die Nachuntersuchung gute Erfolge. Die Metastasen in der Lunge waren kaum noch zu erkennen und der Tumor ist sehr gut geschrumpft.
Aber die Angst das es jeder Zeit immer wieder ausbrechen könnte war der tägliche Begleiter. Meine Mutter hat auf Wunsch eine Psychologin gesucht, die mit ihr über den Krebs, Tod  und den Umgang sprechen konnte. Am Verhalten hatte man ihr angesehen, dass ihr diese Gespräche gut taten.
Sie sprach täglich mit ihren Tumor:
Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, dann gehen wir beide gemeinsam in die "Eieruhr" (Urne).
Meine Mutter wollte nur eins: ... und das war zu leben!!

Ich, als Tochter und ihr einziges Kind habe lernen müssen, mich zusammenzureißen.Nicht zu zeigen, dass man über traurig ist und weiß, dass es irgendwann zu ende geht.
Ich habe das Gefühl gehabt, dass wenigstens ich ihr und meinem Vater gegenüber eine gewisse Stärke zeigen musste. Mein Vater ging es richtig schlecht. Teilweise schlechter von der Psyche her als meine Mutter, Er wirkte depressiv, niedergeschlagen und fühlte sich in vielen Momenten machtlos.
Nie habe ich angefangen über das Thema Krebs anzusprechen. Ich habe immer gewartet bis meine Mutter damit anfing und Bedarf hatte darüber zu reden. Ich denke, dass war auch ganz gut so. Weder Mitleid zu geben,  noch über die Krankheit rum zu bohren, waren nicht meine Welt. Ich hatte meine eigene gehabt. Irgendwie ein normales Leben, wie sonst auch zuführen. Auch wenn es schwer fiel. Aber es tat gut nicht ständig über den Krebs, sondern über die üblichen Themen zu sprechen. z.B. über die schulischen Leistungen meiner Tochter zu sprechen, wie es mir auf der Arbeit geht, über das Wetter und das geschehene in den Nachrichten zu plaudern. Einfach normal wie möglich zu sein.
Natürlich war man auch als Angehörige genervt gewesen, wenn nichts anderes als immer nur über Krebs hört und spricht. Man war es auch leid gewesen, ständig sich das Geheule und Gejammere anzuhören.
Zuhause bei meiner Familie, bei meinem Mann habe ich für mich alleine geweint und den Frust raus gelassen. Ich wollte nicht, dass meine Eltern wissen wie sehr ich darunter gelitten habe. Als Tochter musste ich stark sein, Ruhe bewahren und einen klaren Kopf behalten, um nicht hysterisch zu werden.

Nach dem meine Mutter die Chemo erfolgreich beendet hatte, zählte die Krankheit nicht für geheilt, sondern sie zählte erstmal für gestoppt.
Ca. ein dreiviertel Jahr nach dem meine Mutter die Chemo hinter sich hatte, begann sie auch wieder zu arbeiten, schmiss den Haushalt und man meinte es wäre nie was gewesen. Die Haare waren wieder nachgewachsen und sie fühlte sich befreit. Den ersten richtigen Frisör- Besuch nach ihrer Therapie konnte sie kaum abwarten.
Man lernt auch mit dem Krebs bescheiden und dankbar für kleine Dinge des Lebens zu sein. Jeder Tag in dem man mit ihr verbringen durfte und es ihr richtig gut ging, war ein sehr großes Geschenk.


Im Frühjahr 2014 kam dann der nächste Schock. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass der Krebs seine starke Macht zeigte. Er hat wieder erneut gestreut. Dieses mal waren die Nieren und die Leber mit Metastasen betroffen gewesen und der Tumor ist wieder gewachsen. Meine Mutter war fix und fertig gewesen. Wieder Chemo, wieder Zuhause bleiben und wieder war die Angst der Hauptbegleiter. Meine Mutter hatte beschlossen vorzeitig in Rente zu gehen. Zumal sie nicht in der Lage war wieder arbeiten zu gehen. Meine Mutter wollte einfach nur noch für sich selber leben. Ohne daran denken zu müssen, was auf der Arbeit gemacht werden muss, Urlaubsplanungen mit dem Chef besprechen usw.
Mein Vater leitete alles ein, damit meine Mutter ihre Rente bekam. Er schmiss neben seiner Arbeit auch den Haushalt und war von uns mit den Nerven am meisten am Ende gewesen.
Dennoch wollte meine Mutter ihr Leben trotz alle dem genießen. Sie kaufte sich spontan ein neues Auto, machte Pläne und hatte viele Ziele vor Augen gehabt. Viele Meilensteine hatte sie sich vorgenommen.

Für mich bedeutete es wieder die Starke zu bleiben.
Man stellte sich die Frage: Warum`? Warum hat der Krebs so viel Macht?
Wir leben in einer Zeit, in dem man doch so viel heilen kann. Warum geht es mit dieser beschissenen Krebsart nicht? Das ganze nimmt kein Ende, noch nicht einmal ein Gutes. Bei anderen hat es super über viele Jahre hinweg funktioniert, Warum nicht bei meiner Mutter? Sie hat ein gutes Herz und sie hat diese Art von Schlägen der Natur nicht verdient!

Dieses mal sollte die Chemo länger sein. Aber diese hat sie mit der Zeit nicht so gut vertragen. Ein Inhaltsstoff schlug nicht mehr richtig an. Meine Mutter bekam Wassereinlagerung am ganzen Körper, dass ihre Arme und Beine dick angeschwollen waren. Manche Kleidungsstücke bekam sie gar nicht mehr angezogen. Schon gar keine Kleidung, welche eng geschnitten waren. Also wurde eine andere Chemo verordnet. Dieses mal blieben die Haare und wuchsen ganz normal weiter. Die Werte und der Tumor blieben erstmal stabil. Spontan sind meine Eltern immer wieder verreist gewesen. Das war gut und lenkte ab. Mein Mann und ich konnten auch in diesen Zeiträumen etwas verschnaufen und neue Kraft tanken.

Als ich im September 2014 mit Louis schwanger war, schufte meine Mutter neuen Lebensmut und sie freute sich so sehr über ihr zweites Enkelkind. Sie bezahlte den Kinderwagen, denn mein Mann und ich uns aussuchen durften. Nach jeden Frauenarztbesuch habe ich ihr eine SMS geschrieben oder sie direkt angerufen und ihr gesagt, dass alles ok sei und sie freute sich immer mehr.
3 Wochen bevor Louis auf die Welt kam im April 2015,  musste sie kurzfristig ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Verdacht auf Schlaganfall.
Als wäre der Krebs nicht schlimm genug. Meine Mutter spürte nur ein halbseitige Lähmung in ihren Gesicht. Die Stimme klang als hätte sie einen Tischtennisball im Mund. Ein Auge war angeschwollen und wirkte geschlossen.
Als im Krankenhaus ein Hirn-MRT gemacht wurde, da kam die nächste Hiobsbotschaft.
Hirntumor und Metastasen!!!

Dies bedeutete weitere Chemos und Strahlen-Therapie.
Meine Mutter bekam von nun an Chemo als Tablettenform und musste nicht mehr dies als Infusion bekommen. Meine Mutter hat nie ihren Lebenswillen verloren und kämpfte immer weiter. Aber sie gab zu verstehen, dass dies ihre letzte Therapie sei. Psychisch hatte sie keine Kraft mehr gehabt alles noch mal durchzustehen.
Dennoch zeigten die Medikamente ihre Spuren. Ihr Gesicht wurde immer schmaler, der Körper immer dürrer. Sie hatte nicht mehr die Kraft gehabt die Treppen in ihrem Haus zu steigen. Ihr wurde oft schwindelig.
Diverse Hilfsmittel wie Geh-Rollator, Rollstuhl, Treppenlift und ein Duschstuhl mussten her.
Lange konnte sie auch nicht auf einen Stuhl sitzen, meine Mutter fühlte sich in ihren Bett wohler.
Meine Mutter fühlte sich manchmal auch nicht in der Lage ein Brot zu schmieren, oder ihr Fleisch klein zu schneiden. Ihr fehlte die Kraft in den Händen. Die Motorik wurde von mal zu mal schwächer.

Ipad und Facebook war ihr Weg zu Außenwelt. Sie fand einen Großteil ihrer alten Schulkameraden und Cousinen wieder. Sie likte und kommentierte Beiträge und hatte einfach Spaß auf der Kommunikationsplattform. Einmal in der Woche fuhr sie mit meiner Tante ins Einkaufszenter um zu shoppen. Für meine Kinder kaufte sie Sachen ein und hat noch anschließend Eis gegessen. Das war ihr Highlight gewesen. Jeden Donnerstag! Zwar mit dem Rollstuhl. Aber die Hauptsache war, dass sie mal vor die Tür konnte und was anderes als ihr Schlafzimmer gesehen hatte.

Den allergrößten Wunsch den meine Mama hatte, war die Konfirmation meiner Tochter mitzuerleben. Dieser wurde ihr erfüllt.Das war eines der größten Ziele, welche sie von beginn der Krebserkrankung hatte. Sie übte jeden Tag mit den Rollator zu laufen, damit sie in die Kirche gehen konnte. Jeden Tag lief sie mit meinem Vater einmal um den Block. Manchmal auch zwei Runden, je nach dem wie es ihr gerade ging. Das hat sie auch geschafft. Sie lies sich auch nicht nehmen das Outfit für meine Tochter zu bezahlen. Gemeinsam waren wir in der Stadt und haben mit meiner Tochter das passende Kleid mit Schuhen ausgesucht. Gemeinsam haben wir alles geplant und organisiert, damit meine Tochter einen schönen Tag hat. Auch den ersten Geburtstag von Louis durfte sie mitnehmen.
Meine Mama war wie ausgewechselt. Sie konnte wieder ein paar Meter laufen, ging alleine zur Toilette, konnte wieder ihr Brot selber schmieren, auch ohne Rollator lief sie im Haus rum und es ging ihr richtig gut.

Leider war dies von kurzer Dauer. Anfang Juni zur Kontrolluntersuchung in Essen bekam meine Mutter eine ganz schlimme Nachricht. Der Krebs ist im ganzen Körper explodiert!!!
Man könne nichts mehr für sie tun! Sie galt als aus therapiert.
Ich weiß, dass Ärzte nicht das gewisse Feingefühl dafür besitzen, dass sie es so in einem blöden Ton rüberbringen und ohne weites zu sagen einfach den Behandlungsraum verlassen oder die Patienten nach dieser Schocknachricht zur Tür raus begleiten und zur normalen Tagesordnung rüber gehen. Aber mein Vater hätte sich lieber gewünscht, wenn ein Seelsorger oder ein Psycho-Therapeut dabei gewesen wäre. Das man den betreffenden Patienten wenigstens seelisch unterstützt. Oder der Arzt wenigstens angeboten hätte ein Taxi kommen zu lassen, statt mit dem eigenen Auto wieder nachhause zu fahren. Schließlich sass der Schock sehr tief! Für ihn und vor allem für meine Mutter, dass irgend jemand da ist und darüber seelisch unterstützt.

Aus therapiert, man kann nichts mehr tun! Das Leben meiner Mutter ist vorbei!!! Aus! Schluss! Die Ärzte haben meine Mutter aufgegeben!!
Für mich klang es weit weg und unrealistisch! Ich wollte es einfach nicht wahr haben, dass meine Mutter bald von uns gehen würde. Angst und traurig war ich. Was soll meinem Vater werden, er leidet sehr. Meine Mutter wollte nicht gehen!- nicht jetzt!

Zwei Wochen bevor meine Mama starb, besuchte ich sie und wir fielen uns beide weinend in die Arme.
Mama! Du darfst nicht gehen! Hörst du!!! Bitte bleib da!! sagte ich immer wieder zu ihr.
Dieses mal konnte ich meine Gefühle nicht mehr zurückhalten und mich nicht mehr vor meiner Mutter zusammenreißen. Ich konnte nicht mehr. Ich war sauer auf den Krebs, sauer auf die Ärzte in der Uniklinik. Können oder wollen sie meiner Mutter nicht mehr helfen? Das kann doch nicht alles gewesen sein? So viel und lange hat man gekämpft, für nichts!!!Es ist einfach zu ungerecht!!
Meine Mutter wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, so wie sie es immer früher bei mir gemacht hatte, als ich noch ein Kind war.
Sie sagte zu mir: Haltet zusammen! Kümmere dich um deinen Vater, wenn ich nicht mehr da bin. Er soll nicht alleine sein! Pass gut auf deine Kinder auf!!  Die Beerdigung soll eine Feier werden mit lauter Musik und zieht euch normal an. Keine Trauerkleidung!! Zieht eure Lieblingskleidung an, ihr sollt euch wohl fühlen. Minutenlang haben wir uns festgehalten.

Dann kam der Tag XY als mein Vater mich abends anrief. Zuhause in ihrem Bett ist meine Mutter gestorben. Ganz friedlich ist sie eingeschlafen. In den Armen meines Vaters. Meine Tante die als Altenpflegerin arbeitet, hat meine Mutter begleitet. So das mein Vater nicht alleine mit der Situation war.
Es war der Wunsch meiner Mutter gewesen Zuhause in ihrer vertrauen Umgebung zu sterben. Sie wollte nicht in einem Hospitz und auch nicht ins Krankenhaus. Am nächsten morgen fuhr ich mit meinem Mann zu meinem Vater. Gegen Mittag holte der Bestatter meine Mutter ab. Wie sie tot im Bett lag wollte nicht sehen. Ich wollte sie in lebhafter Erinnerung behalten und nicht wie sie leblos liegt. Der Schmerz war sehr tief! Zwei Wochen habe ich mich krankschreiben lassen. Es ging nicht, mein Kopf war völlig leer. Mich interessierte nicht was gerade im Radio für Musik gespielt wurde oder was in den Nachrichten berichtet wurde. Ich wollte einfach nur in ruhe trauern.

Die Beerdigung war für mich sehr schlimm!
Familie, Freunde, Verwandte, ehemalige Schulkameraden von meiner Mutter kamen zur Beerdigung. Es sprühte Wärme und Geborgenheit aus. Alles was meine Mutter sich für ihre Beerdigung gewünscht hatte, haben mein Vater, mein Mann und ich gemeinsam umgesetzt. Meine Mutter plante schon im voraus wie ihre Beerdigung sein sollte. Dies hat sie als Nachricht in ihrem Ipad geschrieben. Sowas wie ein letzte Wille.
Drei Lieder aus ihrer Liste wurden gespielt.
Lobo- i´d love you to want me  ( das Kennlernlied von mein Vater und ihr)
Louis Amstrong- wonderfull world
Guns´n Roses- Knocking on Heavensdoor
Alle bis auf mein Vater trugen normale Kleidung. An ihrer Urne haben wir einen Aufkleber mit Raumschiff Enterprise machen lassen. Mama war ein echter Star Treck- Fan. Eine kirchliche Beerdigung gab es nicht. Meine Mutter war katholisch, aber sie empfand keine Verbundenheit mit der Kirche. Deshalb gab es eine freie Beerdigung mit einer Rednerin.
Das Vorgespräch mit ihr über die Beerdigung war für mein Vater und für mich sehr schlimm gewesen. Über ihre Kindheit, als Ehefrau und Mutter mussten wir alles erzählen, welches sie auf der Beerdigung gesprochen hatte. Die Rednerin hat es trotzdem sehr schön gemacht. Auch wenn es sehr emotional war.
Bevor es zum Urnengrab ging sagte die Rednerin:
Frau Mxxxxx  MXXXX. Ich lasse Sie hiermit frei! Sie sind befreit von allem, sie dürfen hingehen wo sie wollen!

Wieder war mein Gedanke: Mama! Bitte geh nicht weg!!!
Vor lauter Tränen habe ich den Weg auf den Friedhof nicht erkannt. Aber ich musste mich zusammenreißen, für meinen Vater, dass er nicht zusammenbricht. Ich lief neben ihn und er trug die Urne meiner Mutter.


Für mich klang es soweit weg. Meine Mama ist nicht Tod! Sie ist da, auch wenn ich sie nicht sehen kann. Aber ich spüre sie nach wie vor. Hin und wieder träume ich von ihr und wache mit guten Gefühlen auf. So als wäre nie was gewesen.
Es klingt verrückt, aber ich habe oft ihren Geruch in meiner Nase, als würde sie vor mir stehen. Sowas gibt mir Trost und ich fühle mich auch ein wenig besser.
Dennoch vermisse ich sie. Ihre Gespräche und es gibt so viel was ich sie hätte noch fragen wollen, fehlen mir. Ich weiß, da wo sie jetzt ist geht es ihr besser. Ohne Schmerzen und vorallem ohne Krebs.

Dennoch Krebs ist und bleibt ein mieses Arschloch und alles was drumherum dazu gehört!!
Sei es die Chemo, diese ständige Angst, dass der Krebs mal wieder mächtiger als die Medikamente und der Lebensmut ist.
Man ist gezwungen sich mit der Situation alleine zu befassen.
Man weiß nicht wie man helfen kann und man kann sich nicht einmal dagegen wehren. Es ist so unfair und gemein! Es reißt Menschen aus dem Leben, die man liebt!!
Krebs du bist böse! Verpiss dich aus meinem Leben, du hast genug kaputt gemacht, du hast meine Mutter genommen, die Ehe meiner Eltern zerstört,  komme nie wieder!!!


Kommentare